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Die offene Gesellschaft und ihre Feinde
#10
Hallo lieber Matthias!

(06.09.2019, 07:24)Matthias schrieb: Deine Argumente kann ich sehr gut verstehen.

Danke. Die schwerwiegendere Frage ist freilich: sind sie auch schlüssig? (Da ich mir das alles selber zusammengereimt hab, kann ich das selber schlecht beurteilen.)

Zitat:Um zu verstehen, warum ich Karl Popper immer noch glühend verteidige, muss ich Euch von der Situation der Geisteswissenschaften berichten, als ich 1985 in Freiburg mein Studium begann. Da schwebte über dem Zentralgebäude noch der Geist des alten Heideggers. In Philosophie studierte ich Nitsche, Hölderlin, Meister Eckard und die neue Philosophie der damaligen Professorin Ute Guzzoni. Heiddeger selber stand natürlich auch auf dem Plan. In der Politwissenschaft lehrte auch noch die alte Garde. Diese dachte nicht an Empirie, sondern noch voll normativ-ontologisch. Empirische Politikwissenschaft wurde uns so gut wie gar nicht beigebracht. Als Mathematiker war ich da noch am ehesten von der Philosophie eines Thomas Hobbes phasziniert.

Und jetzt habe ich ein Problem, weil -ich bin nur ehrlich!- es mir etwas schwerfällt Dich zu verstehen. Das aber nicht um Deinetwegen. sondern weil ich mir nicht recht vorstellen kann, was einen motiviert, Philosophie als Disziplin zu studieren. Was will man dabei erzielen? (*)
Denn erst wenn ich weiß, was eigentlich das Gewünschte oder Benötigte ist, kann ich verstehen, inwiefern dieser oder jener "Zustand der Geisteswissenschaften" dafür geeignet ist oder nicht. Solange ich das nicht weiss, ist jeglicher "Zustand" so gut wie jeder andere. (Analog: solange ich keine konkrete Reparatur auszuführen habe, ist jedes Werkzeug so gut wie jedes andere.)

Zitat:In der Philosophie hatte ich einen Nachhilfelehrer. Dieser war so tief in diesem Denken versackt, dass es ihm nicht mehr möglich war, sich mit anderen Menschen noch vernünftig zu unterhalten. Ich war damals sein einziger Freund und Schüler. Wir trafen uns immer einmal die Woche in seiner Wohnung, wo er mir bis in die frühen Morgenstunden hinein seine Weisheiten lehrte. Er selber wurde zum Opfer seines eigenen Denkens, für mich war da in diesem Umfeld Karl Popper ganz einfach mein Seenot-Rettungsboot.

Das wiederum verstehe ich. Nur, sei mir bitte nicht böse -ich bin wiederum einfach ehrlich- mir scheint ein solches "Versacken" eine m.o.w. normale Folge (oder Gefahr) philosophischer Arbeit - ohne betracht dessen, in welchem Denken man da "versackt".
Das Problem scheint mir zu sein, dass in der Philosophie etwas versucht wird, nämlich mit Mitteln des Intellekts die Fragen der Existenz zu beantworten, was prinzipiell gar nicht geht - weil der Intellekt nicht der Beobachter der Existenz ist, sondern ihr unterworfen. Folglich versteigt man sich in sehr umfangreichen Gedankengebilden, ohne wirklich ans Ziel zu kommen - und darin kann man sich dann auch leicht verirren.

Um wirklich zu bedeutsamen Ergebnissen zu kommen, gäbe es andere Wege. Und dass die gangbar sind, das weiss ich aus eigener Erfahrung. Die sind allerdings auch gefährlicher. (Es kommt natürlich auch darauf an, ob man wirklich Ergebnisse will, oder lediglich Bestätigung für etwas anderes sucht.)

Zitat:Außerdem hat Karl Popper Jüdische Wurzeln und diese Lehrer sind mir von allen ganz einfach immer noch die liebsten. Das habe ich den Nazis auch ziemlich übel genommen, dass sie unsere ganzen guten Lehrer vernichtet, oder ins Ausland vertrieben haben. Das war nach dem Tod meines Vaters auch mein größter Kummer, dass nämlich mit ihm nicht nur mein Vater, sondern auch der letzte gute Lehrer gegangen war.

Ich weiss nicht - für mich spielt es keine Rolle, ob ein Jude, eine Wikingerin oder ein Chinese mich etwas lehrt. Allerdings hab ich selber jüdische Wurzeln - wenngleich keinen guten Kontakt zu meinem Vater.

Zitat:Es hat eine halbe Ewigkeit gedauert, bis ich dann wieder wirklich gute Lehrer fand. Gott sei Dank ist das jetzt alles schon Geschichte und ich bin überglücklich, dass es in der Welt wieder so viele gute Lehrer gibt, die auch nicht mehr im Verborgenen arbeiten, sondern sich auch in der Öffentlichkeit zeigen.

Auch hier stellt sich mir die Frage: wozu will man Lehrer?
Ich hab die Erfahrung gemacht, dass die echten Ergebnisse sich genau dann einstellen, wenn man niemanden mehr hat, auf den man sich stützen könnte, wenn man ganz allein dasteht. Das ist die ultima ratio - denn erst dann nutzt man wirklich die einem zu Gebote stehenden Mittel, ohne sich auf anderes zu stützen.

Aber ja, das ist ein oft diskutiertes Thema.
In der Esoterik suchen alle nach Lehrern, diese werden teuer bezahlt und stehen hoch im Kurs. Warum das so ist, ist offensichtlich: weil dort niemand an echten Ergebnissen interessiert ist, sondern man lediglich eine Persona, eine wohlfeile Maske pflegen will.
In der rituellen Magie (und da sind wir den Weisheitsschulen schon ein bischen näher) gilt die These, dass man zwingend einen Lehrer braucht. Aber auf meine Frage, wozu eigentlich, oder was dabei das Lernziel wäre, konnte mir niemand eine Antwort geben. Letztlich heißt es dann nur, dass das Ziel Selbsterkenntnis ist - die aber kann man naturgemäß nur selbst erlangen.
In der Schule, ja, da hatte ich Lehrer. Da war ich noch jung. Die haben mir viele nützliche Dinge beigebracht, Dinge, die ich ganz praktisch im Alltag verwenden und nutzen kann. Und dann haben sie mir beigebracht, frei, frech und ungestüm zu denken (denn das war noch vor den sog. Bildungsreformen), und dafür bin ich ihnen sehr dankbar.

Letztlich wäre mein Traum gewesen, dass man sich zusammensetzen könnte und unbefangen und ohne Vorbehalte das zusammenbringt, was man schon alles hat und weiß - etwa im Sinne von Symposien (im ganz klassischen Sinne, und selbstverständlich bei einem guten Tropfen Smile )  - und dann schaut, wie weit das schon führt. Aber das, so naheliegend es mir erscheint, schien zuviel verlangt, denn leider stehe ich immer noch alleine da. Cry

Lieben Gruß
E8

(*) Nachtrag: ich hab eben noch in dein Profil geschaut und Deinen Lebenslauf gesehen - das erklärt Deinen Hintergrund ein bischen, so gut wie ein Lebenslauf das halt erklären kann...

(07.09.2019, 16:12)phaeton schrieb: Zitat E.8


Und da haben wir einen der Punkte, warum die Weisheitsschulen über all die Jahrhunderte geschlossene Gesellschaften waren, und recht wählerisch dahingehend, wen sie aufnehmen. Du kannst tatsächlich alles als Rechtfertigung für jeden Mist hernehmen, und es läuft hinaus auf das Bonmot "nichts ist wahr, alles ist erlaubt".
Die entscheidende Frage ist dann: welche charakterlichen Qualitäten sind erforderlich, um mit einem solchen Leitsatz angemessen umgehen zu können? Und das möchte ich da nicht auf Logik beschränken, sondern eine konsequente Arbeit der Selbsterkenntnis verlangen, der Klarheit über die eigenen Motive. Und das ist erst der Anfang.


Das ist wirklich der Anfang!

Dieses Zitat beinhaltet alles,was ich ausdrücken will.....

Das freut mich, liebe Phaeton!

Nun gibt es aber diese Weisheitsschulen als geschlossene Gesellschaften so nicht mehr (und es steht ja auch zur Frage, ob, auch wenn sie wählerisch waren, ihre Wahl allzu gut war).
Und spätestens, seit LSD für die Massen zugänglich wurde und die arkanen Lehren im Black Metal besungen wurden, ist der Geist aus der Flasche, und niemand wird ihn wieder hineinkriegen.

Aber nun, wir leben in dieser Zeit - und das wird wohl seinen Grund haben. Und wäre dem nicht so, wir wären nicht die, sie wir sind. Was also machen wir damit?

Lieben Gruß
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RE: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde - von Elevation Eight - 11.09.2019, 22:52

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