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Das Alte Testament und Ägypten
#2
Teil 2



9. Die Metonymie des Exodus
 
Die Erzählung vom Aufenthalt des Volkes Israel in Ägypten ist mit einigen Besonderheiten ausgestattet, die nicht recht zu Ägypten passen. Die Fronarbeit wird beschrieben als „schwere Arbeit in Ton und Ziegeln und allerlei Fronen auf dem Feld und allerlei Arbeit, die ihnen auferlegt wurde in Unbarmherzigkeit“ Ex 1, 14. Dazu kommt als Erschwernis, Ziegel ohne Häcksel in gleicher Anzahl zu formen Ex 5, 6f. Das Buch Judith kennt noch eine andere Varianten:

Da aber der König sie beschwerte mit Erdeführen und Ziegelmachen, um seine Städte zu bauen... Judith 5, 9
Dieses sind alles eher Arbeiten, die man eher in Mesopotamien verrichtete als in Ägypten. Denn „Erdeführen“ als Aufschüttung und Fundament für die Plattformen der Ziegelbauten gibt es in Ägypten gar nicht. Auch sind ägyptische Ziegelarbeiten im Vergleich zu den Steinbauten geringfügig und bedeuten viel weniger harte From als z.B. Steinbrucharbeiten oder der Transport von Monolithen und die anschließende Bautätigkeit und als die Meißelarbeit an Inschriften und Skulpturen, wie sie in Ägypten für königliche Bauten und Tempel üblich waren.

Dafür gibt sogar JOSEPHUS eine Bestätigung. Er hatte erkannt, daß die Fronarbeiten eben nicht ‘typisch ägyptisch’ waren und ägyptisiert die Arbeiten in seiner Darstellung ein wenig:

Sie befahlen ihnen, eine große Menge Kanäle für den Fluß zu ziehen und Mauern um ihre Städte zu bauen und Dämme zu errichten, die den Fluß zurückhalten sollten und das Wasser vor dem Stillstand bewahren sollten, wenn es über die Ufer treibt. Auch stellten sie dazu an, Pyramiden zu bauen und erschöpften sie völlig und zwangen sie, manche Künste zu lernen und sich an schwere Arbeit zu gewöhnen. Diese Mühen ertrugen sie 400 Jahre Die Aufzählung ‘typisch ägyptischer’ Arbeiten wie Pyramidenbau und Bewässerungskanäle und Dämme wäre überflüssig, wenn JOSEPHUS nicht berechtigte Zweifel an den in der Bibel geschilderten Fronarbeiten gehabt hätte, so wie sie der Pentateuch überliefert. Daß er aber im übrigen den Text des Alten Testamentes genau rezipiert, zeigen seine schwankendenn Datierungen Hinzu kommen Kleinigkeiten, die für den ägyptischen Kulturkreis kaum vorstellbar sind. So liegt angeblich ein Ziegelofen genau vor der Tür des Königspalastes. Dies ist für Babylonien wahrscheinlich, wo ständige Reparaturarbeiten an großen Ziegelgebäuden solche Öfen dringend erforderlich machten. Dieser besagte Ziegelofen wird außerdem mit Steinblöcken gefüllt und stabilisiert, damit dort ein Thron mit Baldachin stehen kann Jer 43, 9f. In Ägypten wäre es nicht notwendig, dafür den Untergrund besonders zu festigen.

Weil nun die Fronarbeiten der Bibel und einige andere Umstände nach Mesopotamien weisen und nicht nach Ägypten, wird es auch erklärlich, warum es so wenige und darüberhinaus auch noch formalisierte Ortsnamen, Personenname und Bezeichnungen in den ägyptischen Abschnitten der Bibel gibt:

Die Fron in Ägypten war in Wahrheit eine Fron in Mesopotamien, und der Auszug aus Ägypten ist tatsächlich der Auszug aus Babylon.

Der Pentateuch transponiert also die historischen Sachverhalte der persischen Zeit in die glorreiche Vergangenheit zurück und verschleiert den Namen des Fronlandes durch Metonymie.

Solche Metonymien sind in der Bibel häufiger zu beobachten. Sie sind schon zur Zeit der Propheten bekannt, vgl. Nahums Bezeichnung No statt Alexandria Nah 3, 8 oder Daniels apokalyptische Tiere Dan 7, 2f. Sie sind auch in späterer Apokalyptik zu finden. In der Offenbarung Johannis z.B. wird ausgerechnet dort Babylon genannt, wo Rom gemeint ist Apok 14, 8.
Der Bericht des Exodus Israels arbeitet ebenfalls mit solchen Metonymien. Er nennt Ägypten und meint Babylon, er spricht von Pharao und meint König Nebukadnezar usw.

Ein wichtiges Indiz zur Erhärtung dieser Theorie ist der Bericht von der tatsächlich stattgefundenen Ausreise aus Babylon. Hier stehen zwei Personen im Vordergrund, Josua und Serubabel. Josua war „Hohepriester“ und Serubabel „Statthalter Judas“ Haggai 1, 1.

Beide haben ihre Spiegelbilder im ägyptischen Exodus: dort ist Mose der politische Führer und Aaron gilt als Hohepriester. Wie der Tempelbau in Jerusalem arg verzögert vorangetrieben wird, ist dementsprechend auch die im Exodus genannte Stiftshütte sehr viel später entstanden. Sogar die Titulatur des Esra als „Schreiber des Gesetzes vom Himmelsgott“ Esra 7, 6 steht in unmittelbarer Verbindung zur Gesetzgebung auf dem Sinai, zumal Esra sogar noch das ‘Buch des Gesetzes Moses’ dem Volk öffentlich vorliest Neh 8, 1, wie seinerseits Mose die Zehn Gebote dem Volk öffentlich verkündet hatte.

Die Koinzidenz reicht bis in nebensächliche Kleinigkeiten, die bislang kaum verständlich waren oder begründbar erschienen:
Beim Auszug aus Ägypten nehmen die Juden goldene und silberne Gefäße von den Ägypten mit, freilich ohne erkennbaren Zweck und ohne erkennbaren Sinn Ex 12, 35. Diese goldenen und silbernen Gefäße sind aber bei der Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft ausdrücklich als Gefäße des Tempels bezeichnet und machen dort auch Sinn Esra 5, 14f
Das läßt den Schluß zu, daß historische Ereignisse und Fakten über die Babylonische Gefangenschaft mythisch überhöht und in die heroische Vorzeit zurückversetzt wurden. In diesem Zusammenhang spielt auch das Buchmärchen eine Rolle. Wie bei ägyptischen Vorbildern erkennbar wird bei wichtigen und bedeutungsvollen Schriften ein Märchenmotiv vorgesetzt, um zusätzlich die Wichtigkeit der Schriften zu unterstreichen: Prinz Hardedef findet ein wichtiges Kapitel des Totenbuches bei einer Tempelrevision . Ein medizinischer Papyrus wird im Tempel von Koptos entdeckt und dem König Cheops als Wunder überbracht
Desgleichen findet Darius das Kyros-Edikt in einem Archiv von Ekbatana Esra 6, 2 und Josias findet den Pentateuch beim Umbau des Jerusalemer Tempels 2. Kg 22, 8 - 23; 2. Chr 34, 14 - 31 Entsprechendes gilt auch für die Übernahme der Zehn Gebote durch Moses.

Der Auszug der Juden aus Babylon (und nicht aus Ägypten) vollzog sich in mehreren Schüben, in den Jahren 537 bis 445 v. Chr. .

Die Metonymie und damit die Rückdatierung der tatsächlichen Ereignisse in die mythischen Begebenheiten der Patriarchen Zeit liegt in der Geschichtsbetrachtung des jüdischen Chronisten begründet. Er schrieb eine von der jetzigen Gegenwart und erhofften Zukunft ausgehende, aber nach rückwärts gewendete und rückwärts laufende Nationalgeschichte. Er vertrat die Auffassung, das Volk Israel sei Mittel- und Zielpunkt der Weltgeschichte.

Eine solche rückwärts gewandte Geschichtsbetrachtung begreift spätere, wirklich errungene Erfolge als von Uranfang an vorherbestimmt und läßt nationale Hoffnungen schon in der ältesten Zeit verheißen sein und sieht sie im Laufe der Geschichte sich erfüllen.

Die Chronisten des Alten Testamentes waren aber überfordert, aus der Vielfalt von Einzelberichten und Überlieferungsströmen einen zusammenhängenden und in sich stimmigen Erzählablauf zu erstellen Die ständig wiederholten und immer wieder erfolgten Redaktionen des Bibeltextes sprechen eine deutliche Sprache. Man unterscheidet bislang in der Quellenanalyse den Jahwist, den Elohist, die Priesterschrift und einiges Sondergut. Dieses Konglomerat wurde irgendwann zusammengetragen. Die Verfasser mußten ihre Unkenntnis alter Geographie und alter Geschichte verschleiern und waren in später Zeit nur mehr auf Vermutungen angewiesen. Sie besaßen keine gesicherten Erkenntnisse ihrer Vorzeit, die über die assyrischen Annalen und die babylonischen Berichte hinausgingen.

So lassen sich mancherlei schwierige Einzelfragen klären: Warum die Geographie Ägyptens so ungenau und so formalistisch ist, warum es formelhafte Wendungen über ägyptische Produkte und Kulturgüter überhaupt gibt, warum die Schilderung der Route des Exodus in der Wüste Sinai so vage ist, warum die Lage des Berges der Offenbarung so schemenhaft schwankt und warum die Landnahme unter Josua so problematisch ist. 
                                          
10. Das tatsächliche Alter des Bibeltextes
 
Man kann sich nur sehr schwer vorstellen, wie alle die verschiedenen, einander widersprüchlichen Angaben zu einer Gesamtdarstellung der Geschichte des Volkes Israel vereinigt wurden, die in Überarbeitung nun als Konsonantentext des Alten Testamentes vorliegt.

Die wesentlich genaueren Darstellungen mesopotamischer Fakten in der Bibel beruhen nicht allein auf einheimischen, mündlichen Überlieferungen, sie dürfte auch aufgrund literarischer und historischer Studien in Babylon selbst zusammengestellt worden sein. Anders vermag man nicht zu erklären, daß bestimmte literarische Epen wie die Welterschaffung, die Sintflut, der Bau des Turmes von Babel bis zu wörtlicher Übereinstimmung vorkommen. Ähnliches gilt für die genaueren Berichte aus der Zeit der jüdischen Teilreiche in Palästina. Von dieser Epoche an sind die Darstellung der Bibel synchron mit der Alten Geschichte des vorderen Orients, wenn auch manchmal aus politischen Gründen in sich widersprüchlich und nicht ganz vollständig. So ist der Sieg Samanassars III. über die Juden und die Unterwerfung des Königs Jehu von Israel im jahr 841 v. Chr. nicht in die biblischen Chroniken aufgenommen , wie umgekehrt die erfolglose Belagerung von Jerusalem in assyrischen Annalen des Königs Sanherib verschwiegen wird , eben weil sie erfolglos blieb.

Die Judenschaft in Babylon hat Informationen dieser Textgruppen Annalen, Epen und Mythen an Ort und Stelle gesammelt und die Überlieferung aus Mesopotamien nach Palästina mitgebracht. Sie konnten sich dort zu babylonischen und assyrischen Quellen direkten Zugang verschaffen und hatten auch das entsprechende Anliegen. Als nach der Rückkehr Israels aus dem Exil in Babel die Notwendigkeit bestand, einen theologisch gefärbten Bericht über die Geschichte Israels zu schreiben, der bis in die ältesten Zeiten zurückreichen sollte, wurden Traditionen dieser Art zusammengetragen, mit eigenen Vorstellungen und Überlieferungen erweitert und literarisch überarbeitet.

Die zweite Gruppe von Quellen, die auf ägyptischen Traditionen beruhte, ist erst danach eingearbeitet worden, denn es gibt trotz der häufigen redaktionellen Überarbeitung und der dadurch erfolgten Glättung und Anpassung auch jetzt immer noch Bruchstellen im Text des Pentateuchs, die darauf schließen lassen, daß die Einarbeitung nachträglich erfolgt sein muß.
Eine solche Bruchstelle ist die in die Josephnovelle eingesprengte Episode mit genealogischen und namensetymologischen Berichten Gen Kap. 38. Auch Mischungen zwischen ägyptischer und babylonischer Tradition, wie in der Welterschaffung und in der Sintflutsage, sind verräterisch, denn die ägyptischen Motive sind dem babylonischen Mythus gewissermaßen übergestülpt worden. Auch Kombinationen beider Überlieferungen wie Sargonlegende mit Sinuhemärchen in der Mosesgeschichte lassen keinen anderen Schluß zu.

Den ägyptischen Fundus an literarischen Themen, Wörtern und Inhalten hat sicher die Judenschaft aus Ägypten beigetragen, die ja in persischer zeit sehr zahlreich war und in Assuan und Leontopolis sogar einen eigenen Tempel besaß. Nur sie hatte ungehindert Zugang zu ägyptischer Schulliteratur, zu den Weisheitstexten und den Märchen, und sogar die Lokalsage von den sieben Jahren der Hungersnot ist aus dem Chnumtempel in Elephantine nachweislich übernommen. Darüberhinaus gibt es deutliche Hinweise für den engen Kontakt der ägyptischen Juden, insbesondere aus Assuan, mit Palästina, aber es ist nicht bekannt, ob auch ägyptische Juden aus Assuan nach Palästina zurückgeführt worden sind oder selbst dorthin zurückwanderten, als es möglich war.

Somit kann die Endredaktion der historischen Schriften des Alten Testamtes überhaupt erst nach dem Babylonischen Exil entstanden sein, wobei das Datum von 445 v. Chr. vielleicht eine große Bedeutung hat . Eine untere Grenze ist das Jahre 250 v.Chr., das ungeführe Datum des Beginns der griechischen Übersetzung der Septuaginta, der hebräischen Tora ins hellenistische Griechisch. Sie ist für die historischen Schriften des Alten Testamentes etwa um 130 v. Chr. abgeschlossen.

Beweise für die späte Übernahme ägyptischer Bestandteile ins Hebräischer finden sich genügend, philologische Gründe sprechen ebenso dafür wie sachliche, chronologische und historische. Man kann die Übernahme zwar nicht genau datieren, man muß sie aber gewiß insgesamt in eine ganz späte Zeit setzen.

Aus den philologischen Untersuchungen ist es ersichtlich, daß die ägyptischen Wörter im Hebräischen teils dem Koptischen viel näher stehen als älteren Sprachstufen, und daß sprachliche Eigenheiten selbst in der assyrischen Zeit um 650 v. Chr. noch nicht zu beobachten sind, demnach also noch geraume Zeit vergangen sein muß, ehe sich die Sprache derartig verändern konnte. Zu solch „langfristigen“ philologischen Änderungen gehören

die Verstärkung des Druckvokals unter Wegfall von Stammkonsonanten und Enttopnung der übrigen Vokale
der Lautwandel, z.B. D zu d, b zu p; dp.t „Schiff“ und DbA.t „Kasten“ werden zu dem gleichlautenden Wort têêbe
die grammatischen Eigenheiten, z.B. der doppelte Artikel im Namen Potiphar
der Bedeutungswandel; gsm „Wasser mit Wellen als Bezeichnung des Sirbonissees“ wird verengt zu der Bedeutung „Sturm“
der Geschlechtswandel, wobei ein Femininum einen männlichen Artikel bekommt wie das hebräische Wort Put

Dazu kommen sachliche Unstimmigkeiten, so z.B. die Erwähnung von Treträdern zur Bewässerung, die erst in später Zeit bekannt sind Deut 11, 10, eines Eisenofens 1. Kge 8, 51 u.o., daß Viehhirten den Ägyptern ein Greul sind Gen 46, 34 - hier wohl eine gelehrte Reminiszenz an die Hyksos, hölzerne und steinerne Wasserkrüge Ex 6, 19 und die Tatsache, daß Ägypter mit Ausländern kein Brot am Tisch essen Gen 43, 32. Von den vielerlei unhistorischen Fakten hebe ich den doppelten Segen Jakobs über Pharao Gen 47, 7 + 10 hervor, der im ägyptischen Hofzeremoniell undenkbar ist, da doch gerade umgekehrt der Segen vom göttlichen Pharao selbst ausgeht.

Die literarischen Vorlagen deuten auf eine sehr späte Zeit. Das Märchen vom Siosire als Vorbild für die Mosesgeschichte kann erst gegen 650 v. Chr. überhaupt geschrieben worden sein, weil es eine Tendenzschrift gegen die äthiopische Fremdherrschaft darstellt. Die Hungernotstele in Sehel ist frühestens um 250 v. Chr. entstanden, als der Isistempel von Philae gegründet wurde und die seit altersher angestammten Rechte des Chnum-Tempels von Elephantine beschnitten werden sollten.
Historischen Fakten datieren sehr spät, so die Erwähnung jüdischer Gemeinden in Ägypten Jes 19, 1 - 25 oder die Umschreibung von Alexandria in Nahum 3, 8; diese Stadt ist erst 332 v. Chr. gegründet worden.

Das alles läßt den Schluß zu, daß der hebräische Text des Pentateuchs mit Sicherheit nachexilisch ist und noch sehr viel später in seiner Endredaktion fertiggestellt wurde, jedenfalls in der Weise, wie er als hebräischer Text erhalten blieb und dann kanonisch wurde. Wahrscheinlich hatte die Arbeit am hebräischen Textfundus und seiner Zusammenstellung erst mit der Septuaginta - Übersetzung ihren Abschluß gefunden. Das erklärt auch das bemerkenswerte Fehlen früher hebräischer Manuskripte der Tora oder der Propheten. Die ältesten biblischen Texte ( Qumran, Pap. Nash) datieren nicht weiter zurück als 100 v. Chr.
Auch innere Kriterien sprechen gegen eine frühe Datierung des hebräischen Bibeltextes: Die Völker des Alten Orients haben mit Ausnahme der Chronologie, der Annalistik und der Herrscherinschriften keine echte „Geschichtsschreibung“ verfaßt, die sich um nationale Angelegenheiten eines Volkes kümmert oder gar um größere, historische Räume und Zusammenhänge bemühte.
Historiographie als literarisches Genre ist eine typisch spätzeitliche Entwicklung der Literatur, da sie auf religiöse Grundvorstellungen keine Rücksicht mehr nimmt, in die die jeweilige Geschichte der orientalischen Völker aber eingebettet ist. Denn dort wird Geschehen als Wirken gottgleicher Könige auf Erden oder auf Erfüllung des Willens der Götter betrachtet. So zerfällt die Gesamtgeschichte zwangsläufig in ein Konglomerat einzelner Akte, Handlungen und Tätigkeiten, die miteinander in gar keiner Beziehung stehen und miteinander kaum oder gar nicht vergleichbar sind. Zudem strebte jeder Pharao danach, seinen Vorfahren gerecht zu werden und ihre Taten nachzuahmen, gleichzeitig aber selbst eigene Tätigkeiten und Leistungen zu verewigen, die „seit Urzeit noch nie geschehen sind“. Insofern gibt es keine dynamische Entwicklung in der Geschichtsbetrachtung, sondern eine Häufung extremer Besonderheiten und besonderer Glanzpunkte, die statisch bleibt und auf Verläufe verzichtet. Das ist bei den zahlreich erhaltenen privaten Biographien nicht anders, nur tritt hier das normative Element hinzu, was „man“ als guter Beamter, General, Priester, Schreiber etc. allgemein zu tun hat und was von allen erwartet wird. Alles das sind zwar Materialien für eine Geschichtsschreibung, daraus entsteht aber noch keine eigentliche Historiographie.
Im Alten Orient war religiös und mythisch gefärbte Geschichtsbetrachtung vorherrschend. Der Aufschwung der Historiographie liegt ja gerade in der Abkehr dieser Traditionen und in dem Verzicht der Personalisierung der Geschichte, wie sie aus Annalen und Königslisten zu entnehmen ist. Statt einzelner, von einander isolierter Persönlichkeiten und deren Taten gelten nun politische Zusammenhänge, die Entwicklung eines Reiches oder eines Volkes für untersuchenswert. Dabei ist das nationalistische Element zu Beginn noch zu vernachlässigen, da es nur nationale Geschichtsschreibung gibt, die gewissermaßen außer Konkurrenz läuft. Erst viel später noch entwickeln Historiker Modelle, nach denen man Aufstieg, Blüte und Verfall von Geselllschaften, Regierungsformen, Staaten und Nationen beschrieb. Man entwickelte sie aus mythologisch vorgeprägten Zyklen ( z. B. die Vier Weltalter) oder aus allgemeinen, wissenschaftlichen Kriterien. Erst die Griechen im Hellenismus haben sich an solche umfassenden Geschichtsdarstellungen herangewagt.

Die Geschichtsschreibung der Juden ist im Vergleich zu der des Alten Orients eine typische Entwicklung späterer Zeit. Es ist unwahrscheinlich, daß sich die Juden bereits um 100 v. Chr (um nur ein Datum zu nennen) mit etwas beschäftigt haben sollen, was eine Errungenschaft späterer Forschung ist, die entwicklungsbedingte Vorstufen haben mußte. Die Geschichte Isarels setzt in ihrer Beschreibung in der Bibel ein Abstraktionsvermögen und ein Geschichtsverständnis voraus, die im Vergleich zu der des Alten Orients wesentlich verändert ist.

Die komplexe Gestaltung des Geschichtsverlaufes aus mündlichen Traditionen, Stammesgeschichten und Mythen ist ohnedies erst bei vollständiger Erfassung der Überlieferungen zu einem großen Ganzen möglich. Die Rückführung der nationalen Geschichte bis hin in die aller älteste Zeit der Welterschaffung verrät aber auch ein Gefühl der Unterlegenheit gegenüber den kulturell überlegenen Nachbarvölkern Palästinas, das nur mit apologetischer Geschichtsschreibung beschwichtigt werden konnte. Statt historischer Fakten steht Sendungsbewusstsein im Vordergrund, und damit geht die historisch „zurechtgerückte“ Vergangeheitsbeschreibung Hand in Hand. Statt historischer Modelle anhand geschichtlicher Persönlichkeiten sind nur Schablonen in der jüdischen Geschichte zu finden, die mit Hilfe von Novellen, Sagen und Märchentraditionen die Geschichte deuten, aber eben nicht darstellen wollen.
 
© Dr. Wolfgang Kosack
Lautlos ist die Wahrheit, wie der Staub in einem tönernen Gefäß, das Gefäß kann brechen, was bleibt ist die Wahrheit.....
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Das Alte Testament und Ägypten - von Eik - 18.02.2017, 12:12
RE: Das Alte Testament und Ägypten - von Eik - 28.05.2021, 08:43
RE: Das Alte Testament und Ägypten - von Eik - 23.02.2022, 07:47

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